Liebe Leser, die Sie nun die neue fechila-INFO in Händen halten, …
Die fechila-INFO, die jeden Monat aktuell im Lesezentrum aufliegt, …
Das Lesezentrum, das fechila heißt und bereits über drei Jahre für Leser offen ist, …
Die Leser, die angesichts dieser Zeilen den Kopf schütteln über den Verfasser der fechila-INFO, …
Der 50-jährige R. T., der nicht aus dem Fenster stieg und verschwand – sondern im Arbeitszimmer blieb und diese MÄRZ-fechila-INFO neu zu schreiben begann, …

Liebe Leser!

Jetzt haben Sie fünf unfertige Sätze gelesen (So halberte Geschichten…), jeweils bestehend aus einem Substantiv (zB. „Die Frau“) und einem dieses Substantiv beschreibenden Nebensatz (zB. „…, die zu viel fühlte“).
Weiteres Beispiel: „Die Frau, die nie fror

Schier unglaublich! Da fehlt doch was! Das ist doch nur die halbe Wahrheit! In einem ganzen Satz steckt doch zumindest ein (wertvolles) Prädikat: Die Frau, die nie fror, schwitzte. Oder: „Die Frau, die nie fror, hatte nämlich immer wärmende Männerfüße unter ihrer Decke“. Oder: „Die Frau, die zu viel fühlte, schwitzte wegen vertrauter Männerbeine unter ihrer Decke, während ein Paar fremder Männerfüße, das im Schlafzimmerschrank stand, fror“.

Jetzt aber zurück zu diesen unfertigen Sätzen (Substantiv + Nebensatz)! Diese werden in letzter Zeit überaus gerne als Buchtitel verwendet und machen Autoren alles andere als verlegen. Die Verleger scheinen zudem umso begeisterter zu sein, je länger und kurioser die Titel der neuen Romane ausfallen. Lesen Sie selbst!

  • „Die Frau, die nie fror“ (Elisabeth Elo)
  • „Die Frau, die zu viel fühlte“ (Charles Chadwick)
  • „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ (Jonas Jonasson)
  • „Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten“ (Daniel Friedmann)
  • „Die alte Dame, die ihren Hut nahm und untertauchte“ (Lena Parkkinen)
  • „Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau“ (Dimitri Verhulst)
  • „Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem IKEA-Schrank feststeckte“
    (Romain Puertolas)
  • „Der 50-jährige, der nach Indien fuhr und über den Sinn des Lebens stolperte“
    (Mikael Bergstrand)

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Halbwegs kurios: Die Halbsatz-Buchtitel sind so lang, dass man sie tatsächlich schon als „halberte Geschichten“ lesen kann. Aber…

ABER: Nimmt da irgendjemand Rücksicht auf die zahlreichen Mitmenschen, die sich selbst und anderen eingestehen müssen: „Lesen? Jaja, super! Nur am Ende eines Arbeitstages bin ich dann schon ziemlich müde. Mein Buch liegt am Nachtkasterl. Ich lese wirklich gern. Ich komm halt nicht weit. Nach ein paar Zeilen fallen mir die Augen zu. Und am nächsten Tag muss ich wieder von vorne anfangen…“?
Denkt von den Autoren, denkt von den Buch-Verlegern irgendeiner an den Umstand, dass es viele Menschen gibt, die nie in den Genuss der ersten Romanseite kommen, weil sie nach dem Lesen des überlangen Titels bereits müde sind, das Buch auf das Nachtkästchen legen müssen, einschlafen, das Gelesene vergessen, am nächsten Abend es wieder zur Hand nehmen, Buchtitel lesen, müde, Nachtkästchen, schlafen, vergessen…?

Das kann man wirklich vergessen, – noch dazu und überhaupt und vor allem, wenn das Wort „Frühjahrsmüdigkeit“ als Überschrift der kommenden Zeit zu lesen sein wird.

maerz15_2Liebe Leser, wenn auch Sie starke Empathie für Menschen verspüren, die das nicht so gut hinkriegen mit dem Buch im Bett, dann sollen Sie sich einfach in ein Buch betten. Auf diese Weise schlagen Sie überdies der „Frühjahrsmüdigkeit“ (sowieso ein gähnbarer Begriff) ein Schnippchen,

meint
Robert Templ.

 

* * *

PS.:
maerz15_3Der „Vater“ der überlangen Halbsatz-Buchtitel ist wohl der schwedische Autor Jonas Jonasson, der mit seinem Roman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ einen internationalen Bestseller geschrieben hat. Dieser Band ist auch am öftesten vom Lesezentrum entliehen worden (Statist. Zeitr.: 1.1.11 bis 1.1.15).

Jonas Jonasson hat sich aber höchstwahrscheinlich vom (tatsächlich ausgezeichneten) Buchtitel eines isländischen Kollegen inspirieren lassen. Im Jahr 2010 wurde Hallgrimur Helgason auf der Frankfurter Buchmesse der Preis für den „Kuriosesten Buchtitel des Jahres“ für „Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen“ verliehen.
maerz15_4Diesen Roman muss ich dringend wieder lesen,- steht uns doch der Eurovision- Songcontest bald ins Haus… Nein! Ja doch! Freilich, es geht da nicht primär um den Songcontest, sondern um einen Auftragskiller, der seinen 66. Mord irgendwie vergeigt hat, dadurch eine andere Identität annehmen muss, mit dem Pass des amerikanischen Heilpredigers Father Friendly (der völlig unvorhergesehene 67. Mord) nach Reykjavik flüchtet, dort in einer religiösen Fernseh-Talkshow auftreten muss, o Gott o Gott, der ja kein Suchender ist, sich aber verliebt und trotzdem sucht, weil er alles (in ihm) durch den Bürgerkrieg in seiner Heimat verloren hat, der nun über jede Menge Turbulenzen, Fettnäpfchen und hochnotpeinliche Situationen „durch den isländischen Sommer zieht, der wie ein Kühlschrank ist, den man sechs Wochen offen lässt. Das Licht ist die ganze Zeit an und das Gefrierfach taut, aber richtig warm wird es nie“… – Und: Im finalen Showdown dieses 270 seitigen Sprachfeuerwerks lässt uns Hallgrimur Helgason eine wunderbare Hommage (Oder ist es eine Persiflage? Eine Groteske?) an den Songcontest lesen. Das sollte uns in Zeiten wie diesen doch alles andere als WURST sein… 😉