Liebe Leser!

Anlässlich der Lesung von Sandra Weihs aus ihrem preisgekrönten Roman „Das grenzenlose Und“ am MI 25. 11. im Lesezentrum fechila habe ich die Autorin kurz vor ihrer Abreise zur Frankfurter Buchmesse um ein paar Zeilen für diese November-Ausgabe gebeten.
Nach einem „DANKE, liebe Sandra!“
tritt jetzt der Verfasser der fechila-INFOs
respektvoll zur Seite und
ist tatsächlich
sprach-
los…


Liebe Leser!

Ich darf diese Ausgabe der fechila-Info gestalten. Der Anlass dazu: Am 25. November wird die „Heimatlesung“ aus meinem Buch „Das grenzenlose Und“ stattfinden. Ich soll in Ihnen also einen Gusto wecken, dorthin zu kommen.

september15_8Ich muss gestehen: Beim Wort Heimat bin ich etwas zusammengezuckt. Als Heimat empfinde ich mehrere Orte in Österreich. Klagenfurt, weil ich dort aufgewachsen bin, Wien, weil diese Stadt und ihre Menschen mir entsprechen, Vöcklamarkt, weil ich hier meine kleine feine Wohnung habe und meine geliebten Söhne aufziehe. Heimat im Überfluss sozusagen.

Hier in Vöcklamarkt aber ist das Buch entstanden, die Geschichte über eine junge Frau, die wohl keinen Ort als ihre Heimat bezeichnen würde:

„Ich will nicht mitmachen in einer Gesellschaft, in der andere auszubeuten Mode ist, Krieg geführt wird, den man sich im Fernsehen ansehen kann, Eltern ihre Kinder schlagen und es Tabletten gegen Gefühle gibt…“, sagt Marie.

Marie, eine intelligente Achtzehnjährige, ist aufgewachsen bei einer schlagenden und trinkenden Mutter, die kein Zuhause-Gefühl vermitteln konnte. Deswegen lebt Marie nun in einer sozialpädagogischen Wohneinrichtung. Und weil sie sich selbst nicht einordnen kann, sie keinen Platz in der Gesellschaft für sich findet und keinen Sinn im Leben sieht, möchte sie sich nach einem missglückten Suizidversuch und selbstverletzendem Verhalten nun endgültig das Leben nehmen.

„Ich nehme die versteckte Rasierklinge aus dem doppelten Boden meines Nachtkästchens und schneide mich tief. Mit jedem Zentimeter Haut, den ich durchtrenne, gebe ich ihr einen Zentimeter der Schuld zurück. Mit jedem Tropfen Blut, der aus der Wunde tritt, wird das Böse in mir weniger, das Böse, das ich von meiner Mutter erhalten habe und das ich aus mir herausbluten möchte. Ich will meine Mutter spüren lassen, dass sie Schuld hat an mir und daran, wie ich bin.“
Harter Tobak, meinen Sie jetzt?
Ja, so ist es. „Das grenzenlose Und“ ist wohl keine Geschichte für schwache Nerven. Aber glauben Sie mir, in der Skurrilität der Figuren und der fast märchenhaften Geschichte steckt mehr Hoffnung, als zunächst erscheinen mag. Sie trifft im Wartezimmer ihres Therapeuten auf Emanuel, den sie erst nicht einschätzen kann.

„Naja, du könntest ein frauenmordender Psychopath sein, oder ein Narzisst, oder ein Burn-out-Kandidat, der mit dem Krankenstand die Einkommensverluste deckt, die er durch ein paar Stunden weniger Arbeit im krankenmachenden kapitalistischen System einfahren würde. Verrückt eben.“

Sie erfährt, Emanuel muss sterben, er hat einen Gehirntumor. Er bittet Marie, die keine Angst vor dem Tod zu haben scheint, ihm zu helfen, diese Angst zu verlieren. Sie schließen einen Pakt: Gemeinsam wollen sie sich an Maries Geburtstag das Leben nehmen.
Es wäre keine gute Geschichte, wenn es keine Wende gäbe. So viel sei verraten: Nicht Emanuel, nicht der skurrile Therapeut Willi, nicht die zickige Sozialpädagogin Sarah, nicht die ehemalige Hure und Emanuels Großmutter Hilde, nicht die Stammtischrunde mit den gescheiterten und trinkenden Existenzen leitet diese ein. Könnte es ein Papierflieger sein?

september15_9Ich freue mich, Sie bei der Lesung begrüßen zu dürfen. Vielleicht sprechen wir danach über das Buch. Über Jugendliche im Allgemeinen. Oder über Norm und Normalität, und was das eigentlich sein soll.
Marie meint dazu:

„Aber was ist schon normal. Anpassung, wahrscheinlich, Unauffälligkeit, vielleicht auch Mittelmaß. Nichtinfragestellen. Normal sein heißt vorankommen und wissen, wohin man vorankommen will. Normal zu sein, ist mutig. Ich sehe jedoch aus wie ein müder Feigling.“

Nehmen Sie sich Ohropax mit, falls Sie lärmempfindlich sind: Robert Templ hat etwas vor.

In Vorfreude und mit den besten Grüßen!
   Sandra (Grabner-)Weihs


 

Neugierig auf das Buch machen diese Zeilen, und sie sind gut und richtig. Na ja, beim „Ohropax-Satz“ hat sie etwas geflunkert. Liebe Leser, so schlimm wird es nicht…

Richtig ist auf jeden Fall die Kurzbiografie des Verlags:
„Sandra Weihs, 1983 in Klagenfurt geboren, studierte Sozialarbeit im städtischen Raum und lebt in Vöcklamarkt (OÖ) und Wien. Sie arbeitet mit sozial benachteiligten Kindern, Jugendlichen und Familien. Für ihr Debüt „Das grenzenlose Und“ wurde sie mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung 2015 ausgezeichnet.“

Diesen Preis hat sie völlig zu recht erhalten. Hier noch die Jury-Begründung:
„Ein erstaunliches Debüt einer Dreißigjährigen: eine packende, ja beklemmend realistische, harte Erzählung über junge Menschen heute, in sehr direkter Sprache – es geht darin um den Tod, also auch und vor allem um das Leben.“

Es geht ums Leben: Ich freue mich auf die Lesung im fechila!
Robert Templ