november16_1„Da ich nicht mehr im Bett liegen konnte mit meinem aufgeregten Herzen, stand ich auf, erfrischte mich im Bad und setzte mich, noch im Bademantel, in den Fenstersessel, ich hatte mir eine sogenannte Monografie über Descartes aus dem Regal genommen. Descartes hat mich wider Erwarten urplötzlich von allen meinen Ängsten ablenken können, schon nach den ersten Sätzen nicht über, sondern von Descartes, war ich gerettet. Ich las diese Sätze und war abgelenkt, ich will nicht sagen, beruhigt, aber doch abgelenkt. Daß die großen Philosophen meine Erretter sind, habe ich gedacht, gleich was ich von ihnen lese, es lenkt mich ab, rettet mich, dachte ich. Anscheinend ist keine sichere Erkenntnis möglich, solange man nicht den Urheber seines Daseins kennt, las ich und war abgelenkt, gerettet. Mit diesem Satz konnte ich die paar Stunden am Fenster verbringen, bis ich aufzustehen hatte …“
Thomas Bernhard, „Auslöschung“, Suhrkamp Taschenbuch, S. 623

Liebe Leser

…der vorletzten fechila-INFO-Druckausgabe!

Am 30.08.1991 ist der US-Amerikaner Mike Powell 8,95m weit gesprungen und hat mit diesem bis dato weitesten Sprung Geschichte geschrieben. Durch diesen gewaltigen Satz ist der Weltrekordler ins Guinness-Buch der Rekorde gekommen, – und er ist daraufhin auf einen Sprung ins Irish-Pub, um sich mit einem Guinness zu beruhigen, wobei er sicherlich keinen auch noch so kleinen Satz im Glas übrig gelassen hat.

Ohne Guinness-Eintrag und -Einfluss hat der Philosoph René Descartes (1596 – 1650) einen beachtlichen, ja rekordverdächtigen Satz geschrieben. Um sich abzulenken und zu beruhigen, hat ihn Franz-Josef Murau gelesen, ein Protagonist aus dem Roman Auslöschung von Thomas Bernhard (der mit gewaltigen Sätzen Geschichte(n) geschrieben hat).

Bemerkenswerte Sätze, staunenswert in all ihrer Vielseitigkeit, fantastische (Gedanken-)Sprünge, hohe Artistik, Erlesenes – seit Menschengedenken!

An Menschen denke ich jetzt, die auf einen Sprung ins Lesezentrum fechila kommen, um sich mit einem Satz abzulenken und zu beruhigen.
Ja, man kann sich im Lesezentrum ganz einfach, gut und effizient eine kurze Auszeit gönnen, – und sich schließlich nicht ein Buch, sondern einen Gedanken mitnehmen. Mit einem guten Satz im Kopf dann wieder hinaus in den Alltag…

Ein Griff in unseren Philosophie-Bestand ist immer ein Garant für eine beruhigende Kurz-Lektüre.

„Auch wenn wir es so genau gar nicht wissen wollen:
Wer neugierig ist, muss mit allem rechnen.“

Im jüngst erschienenen Band „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?“ erzählt Michael Köhlmeier bedeutende Sagen, Märchen, Legenden …, – und Konrad Paul Liessmann philosophiert darüber mit gut verständlichen Worten und Sätzen voll inspirierender Gedanken.

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Unbenannt-1 „So etwas wie ich, werte Freunde, wird nicht mehr erzeugt, und es gibt bedauerlicherweise dafür keine Ersatzteile mehr.“, lässte Andre Heller in seinem neuen Roman „Das Buch vom Süden“ den Graf Etzl sagen. – Ein ästhetischer, sehr poetischer Text, der ein bisschen nostalgisch werden lässt, aber auch sehnsüchtig – nach dem „Süden“ (und nach allem, was mit dem Begriff „Süden“ in Verbindung gebracht werden muss). – Wer an diesem Roman Gefallen findet, wird auch Heller’s „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ (wieder) lesen. november16_4

Manche schreiben nach (und mit) einem bemerkenswerten Satz (eine) Geschichte.

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„Die Vögel hatten wegen des Gefechtslärms die Bäume verlassen und waren davongeflogen.“

So beginnt „Daldossi oder Die Kunst des Augenblicks“. In diesem kühnen Roman erzählt Sabine Gruber dicht, genau, schön und spannend von journalistischer Wahrheitsfindung, Krieg, Krisen und von einer großen Liebe. – Mit dem letzten Satz dieses Romans schließt die Autorin eine wundervolle Klammer zum ersten: „Einmal hörte er einen Helikopter, er hing schräg über ihm am Himmel, drehte dann aber ab und flog davon.“ – Nach der Lektüre dieses Buches wird man gerne zu „Jeder Moment ist Ewigkeit“ von Lynsey Addario greifen.

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Ins Lesezentrum gehen, ein Buch aufschlagen und ein paar Zeilen aufschnappen – das ist wie eine Zwischenmahlzeit einnehmen, ein Happen, der den Magen beruhigt.

november16_7 „Henry!“, schimpfte es postwendend und vorlaut aus der entgegengesetzten Ecke. Betty, noch unsichtbar hinterm Haus – so dass sie den wahren Grund für ihres Mannes „Windmacherei“ noch gar nicht erahnen konnte. „Horr…“.
Doch in diesem kräftigen Hauch der Gewohnheit, der Ungeduld und des Tadels strömte die tiefste Liebe mit, menschliche Liebe… tiefere Liebe, als irgendein Gott für seine Geschöpfe aufzubringen sich je erlauben dürfte, wollte er nur bleiben ein allmächtiger Gott.“
aus: „Onno Viets und der weiße Hirsch“ von Frank Schulz

fechila-logo-rot.png november16_8Sie schauen doch wieder einmal auf einen Sprung vorbei?! Auf einen Satz?!
Im Lesezentrum fechila gibt es zwar kein Guinness, doch rekordverdächtig viel Geistiges in den Regalen. – Und zur Beruhigung: Wir haben 16 Stunden pro Woche für Sie offen.

Herzliche Grüße! Robert Templ