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„Wenn jemand ein Buch las und dabei auch noch bequem auf dem Rücken lag, dann begriff Cleo das als eine Art Aufforderung, sich zwischen ihn und das Buch zu legen. Da sie zutiefst überzeugt war, dass eine Katze sehr viel faszinierender war als irgendwelche gedruckten Buchstaben, war sie erstaunt, wenn der Lesende sie hochhob und vorsichtig hinter dem Buch wieder absetzte. Wie konnte ein Menschensklave nur so grob sein? Wenn sie dann ihre Fassung wiedergefunden hatte, machte sie sich an die Untersuchung des Umschlags. Der war doch sicher nur aus Gründen der Körperpflege da. Cleo stellte nämlich fest, dass Katzen keine Zahnbürsten brauchten, wenn sie ihre Zähne am Pappumschlag eines Taschenbuchs entlangziehen konnten.“
(aus dem Roman „Cleo“ von Helen Brown, S. 145)

Liebe Leser!

Wenn ich mich frühmorgens meiner Arbeitsstätte nähere, kommt es immer wieder vor, dass ein leichtes Unwohlsein sich meiner bemächtigt, ein Unbehagen, das meine plötzlich feucht werdenden Hände die Griffe der Lenkstange fester drücken lässt. Ein leises Zittern, ein Anflug von Gänsehaut. Adrenalinausstoß. Ich ziehe die Fahrradbremsen. So wird nicht nur die Fahrweise unsicherer. Und in gleicher Weise, wie ich langsamer werde, wird mein Puls schneller.

Nein! Um Gottes Willen, nein! Sie dürfen jetzt bitte nicht glauben, dies alles hätte etwas mit meiner Arbeitsstelle an sich zu tun, mit der Volksschule, mit der Frau Direktor etc und da wird sich beim Robert Templ definitiv ein Burnout ausgewachsen haben. Nein! Ja, sicher, etwas „Ausgewachsenes“ ist es schon, das mich so unsicher macht. Eine irreale Angst ist es aber nicht, denn sie hat einen Namen: Bella, ein Tier, so groß und mächtig in seiner Art, trotzdem einer Katze verdammt ähnlich sehend. Bella, die Wächterin der Nordostecke des Schulgebäudes. Bella, die Statue, die jederzeit zum Sprung bereit ist. Von der ich vermute, dass sie mich nicht fressen wird, die mir aber mit ihrem Nicht-Blick zu verstehen gibt: Sei dir nicht so sicher! Bella, der ich – wie früher den korrupten Zöllnern – alles hinschmeißen würde, nur damit sie mich ungeschoren passieren lässt. Ich steige in die Pedale und kämpfe mich durch die Nordostpassage. Dann Fahrrad abstellen. Laufschritt. Erst wenn ich mich durch die Hintertür geschwindelt und meine Schulkinder um mich habe, beruhigen sich wieder meine Nerven.

Bella ist die Hauskatze von Maria Graef, unserer Lesezentrum-Mitarbeiterin.
Maria Graef nimmt mir meine Ängste nicht ab, mailte mir aber auf meine Bitte hin eine sehr persönliche und interessante Buchempfehlung. Bella bellissima!  Hier ihr Text:

 

Ich wähle gerne solche Bücher aus, die sonst kaum jemand liest, Außenseiter, weil sie mir leid tun, wie sie, ohne beachtet zu werden, im Regal stehen. Dabei habe ich schon so manche Schätze gefunden. Einer davon ist „Cleo„. Nicht zu Unrecht steht im Klappentext, dass es mit Sicherheit eines der liebenswertesten Bücher ist, das jemals über eine Katze geschrieben worden ist. Helen Brown erzählt in diesem Roman eine wahre Geschichte, die Geschichte ihrer Familie, die sich mit Hilfe der Katze Cleo nach dem tragischen Unfalltod ihres Sohnes Sam zurück ins Leben kämpft.

sept1Ich habe „Cleo“ auch deswegen gleich ins Herz geschlossen, weil sie genau so wie meine Katze Bella eine Außenseiterin ist, nicht den gängigen Idealen entspricht.  „Das Kätzchen schön zu nennen, wäre dasselbe gewesen, wie Elton Johns Brillen aus den Achzigern als dezent zu bezeichnen. Es war in ein Geschirrtuch gewickeltes Häuflein Elend. Ein Stofftier, das man in den Laden zurückbringt, um es gegen eine mit mehr Füllung umzutauschen. Mit seinem übergroßen Kopf und dem Hals, der dünner war als ein Staubsaugerrohr, sah das kleine Ding E.T. ähnlicher als eine Katze.“ (S.57) –  Das Erscheinungsbild meiner eigenen Katze ist das Gegenteil von „Cleo„, aber genauso „unnormal“. Ihr übergroßer Körper, der aussieht wie eine wackelige Kugel, passt so gar nicht zu dem sehr zarten, kleingeratenen Kopf. Der Tierarzt hat bei ihrem Anblick die Hände über den Kopf zusammengeschlagen, so wie jeder, der sie das erste Mal sieht. Aber sie hat ein sehr fein geschnittenes und hübsches Gesicht, daher der Name: Bella.
Meine Bella ist mir zugelaufen, wahrscheinlich wollte sie auch niemand haben. „Eine Katze sucht sich ihren Besitzer aus, nicht umgekehrt.“ Ich wollte grundsätzlich kein Haustier haben, aber als Bella in einem unbeobachteten Moment durch die Tür schlüpfte und es sich ganz selbstverständlich auf meinem Lieblingssessel bequem machte, musste ich erst einmal lachen. Doch sie dachte nicht einmal daran, wieder zu gehen, und beim Versuch sie hinauszutragen, sagte ihr Gesichtsausdruck: „Wie kannst du es wagen, mich bei meinem Schlaf zu stören.“
Cleo“ wurde ein wichtiges Familienmitglied, wenn nicht sogar das Familienoberhaupt, und wurde im Laufe der Zeit eine richtige Schönheit. Und sie hat über tragische Verluste hinweggeholfen.
Mit meiner Bella habe ich (sprichwörtlich!) Schwein gehabt, auch sie hat über so manche traurige Stunden hinweggeholfen. Das mit der Schönheit haben wir noch nicht hinbekommen, aber wir arbeiten daran.

Schwein“ ist ebenfalls ein Außenseiter im Bücherregal. Mit diesem Roman von Andrew Cowan konnte ich wieder so einen Schatz heben, eine Geschichte in typisch britischer Manier: realistisch, bescheiden, warmherzig und mit Humor gewürzt.

 

Liebe Leser!
Viele Bücher gibt es im Lesezentrum, in denen Tiere eine gewichtige (!) Rolle spielen.
Im Folgenden eine kleine Auswahl lesenswerter Romane, voran gleich das von Maria Graef (auf-)gelesene „Schwein“:

„Schwein“ von Andrew Cowan
sept2Das Schwein allein bleibt zurück, im Sommer als Dannys Großmutter stirbt und Großvater ins Altersheim muss. Der 15-jährige Danny beschließt, es zu füttern und zu versorgen und so vor dem Schlachthaus zu retten. Täglich macht er sich zum verlassenen Haus beim stillgelegten Stahlwerk auf, wo er sich heimlich mit seiner indischen Freundin Surinder trifft. Gemeinsam verbringen sie dort Tage ihrer eigenen Welt, lieben sich und versuchen, dem wuchernden Unkraut im bunten Garten Herr zu werden, während ihr Schwein sich zufrieden suhlt. Doch nur kurz bringt das Schwein Farbe ins graue Industriestadtleben. Denn in der Siedlung, wo Danny und Surinder leben, mehren sich die fremdenfeindlichen Parolen. Und die Eltern schmieden eifrig Heiratspläne für Surinder.

Das Lesezentrum fechila hat mehr „Schwein“, als man glaubt. Noch ein (sau-)gutes Buch:

„Mein Vater, sein Schwein und ich“ von Jana Scheerer
sept3„Bevor ich auf die Welt kam, waren meine Eltern schwarzweiß.“ „Während ich geboren wurde, jagte mein Vater einen Grizzlybären.“ „Zu meinem dreizehnten Geburtstag bekam ich Günter Grass.“ „Als ich fünfundzwanzig war, fand mein Vater einen Parkplatz.“ – Es ist ein abenteuerlich anmutender Lebenslauf in skurrilen Episoden, den Jana Scheerer in ihrem ersten Buch erzählt. Mit ihrer außergewöhnlichen Fantasie, dem abgründigen Humor und einem ganz eigenen, schrägen Ton stellt sie den Alltag einer Durchschnittsfamilie auf den Kopf. Hinter der häuslichen, kinderliebenden Fassade bricht das Befremdliche hervor: Ein Mietschwein, befindet der Vater, sollte die Familienharmonie fördern; das Modell der „Rentnerversorgung“ führt zum teuflischen Plan, einen unwillkommenen Pensionär im Familienurlaub auf Mallorca auszusetzen; der Vater engagiert seiner Tochter ein schlechtes Double für den gerade verflossenen Freund im Glauben, sie bemerkte den Austausch nicht; ein Groschenroman-Autor verzweifelt, weil ihm die Krisen ausgehen. Und immer weiß die – nur scheinbar naive – Erzählerin in überraschenden Wendungen den Wirren ihrer Zeit charmant zu begegnen.

Nach Katze und Schwein komme ich auf den Hund (ohne auf den Hund zu kommen). In Eva Hornung’s Roman lernt man die Spezies Hund aber auch die Spezies Mensch besser kennen.

„Dog boy“ von Eva Hornung
sept4Moskau: Ein vierjähriger Junge erwacht in einer kalten, leeren Wohnung. Er wartet auf den Onkel, doch der kommt nicht nach Hause. Auch seine Mutter nicht, deren Ermahnungen er im Ohr hat. Der Junge hat Angst vor dem Onkel, der ihm verboten hat, sein Zimmer zu verlassen. Doch er ist hungrig, fasst Mut und verlässt die Wohnung. Der Junge, Romochka, ist allein. Es schneit, die Menschen beachten ihn nicht, nur ein Hund nähert sich ihm, aggressiv, dann neugierig. Romochka folgt dem Hund, und der Hund – die Hündin – gestattet ihm zu folgen. Hin zu ihrer Höhle in einem verlassenen Gebäude. Zu seiner neuen Familie. Romochkas Leben als Hund beginnt. „Dog Boy befasst sich intensiv mit der Frage, was das Menschsein ausmacht, wie wir zu Menschen werden und wie wir es schaffen, an unserer Menschlichkeit, wenn wir sie einmal besitzen, festzuhalten.“ (Donna Leon)

Ganz selbstverständlich denkt man in dieser Tiere-Ausgabe der fechila-INFO an den herausragenden Brenner-Roman „Wie die Tiere“ von Wolf Haas. Ein bissiger Krimi. Mit bissigen Hunden. Aber noch bissiger sind die Mütter der Früchtchengruppe…

Zwei Romane möchte ich hier noch erwähnen, in denen Hunde nicht nur vorkommen, sondern Hunde selber ihre Geschichte, ihre Erlebnisse mit den Menschen erzählen. Vierbeinige Autoren. Der Schriftsteller – ein Hund.
„Mr. Chartwell“ von Rebecca Hunt (sic!)
„Enzo. Die Kunst ein Mensch zu sein“ von Garth Stein
Aufschlussreiches über Tiere findet man auch in unseren entlehnbaren Zeitschriften, z.B. in der Sonderedition GEO April 2013. („Was Sie über Tiere wirklich wissen sollten„)

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In der letzten Buchbesprechung dieser fechila-INFO soll wieder eine Katze im Mittelpunkt stehen. Diesmal ist es nicht Bella, nicht Cleo, sondern Sami. „Das unsagbar Gute“ heißt der empfehlenswerte (Kriminal-)Roman von Christian Mähr, einem promovierten Chemiker, Wissenschaftsredakteur und Schriftsteller.

„Das unsagbar Gute“ von Christian Mähr
sept9Als Frau Leupold, Chemielehrerin in Pension, in ihrem Haus in Dornbirn einen tödlichen Unfall hat, muss sich Kater Sami einen neuen Besitzer suchen. Den findet er schon bald in Mauritius Schott, dem Nachbarn. Schott findet die Leiche, die er an ihrem Fundort belässt, und eine große Menge Geldscheine, die er gerne an sich nimmt. Das Geld stammt aus dem Drogenlabor, das Frau Leupold gemeinsam mit ihrem Enkel betrieben hatte. Mittlerweile ist auch die Wiener Unterwelt aufmerksam geworden und schickt ihre Schnüffler ins idyllische Vorarlberg.- Mit schrägem Humor erzählt Mähr von unglücklichen Zufällen, die alle irgendwie mit dem Kater Sami zu tun haben und zu einer Reihe von tiefgekühlten Leichen führen.
„Die Geschichte ist originell, der Stil flott und ungekünstelt. Dass die beträchtliche kriminelle Energie am Ende ein Mittel namens Theophanin hervorbringt, das ihren Konsumenten zu Gottes-Erscheinungen verhilft, ist nur eine der vielen Pointen in diesem Buch, mit dem Christian Mähr beweist, dass er in seinen Versuchen, die Bestseller-Formel zu entschlüsseln, schon recht weit gekommen ist.“ (Wolfgang Huber-Lang)
„Gaunerkomödie, philosophische Reflexion, Groteske, Heimatroman, Persiflage, Genrestück und „Katzenkrimi“ – in dieser Geschichte steckt wirklich enorm viel (Gutes) drin, wobei das Beste ist, dass Christian Mähr nicht nur hintergründig und lustig schreibt und plottet, sondern dabei niemals der Versuchung verfällt, sich in irgendeiner Form auf die Miau- und Mietzeebene zu begeben.“ (Ulrich Noller)

 

Diese fechila-INFO gehörte allein
Hund und Katz und Schwein.

Genussvolles Suhlen in Büchern wünscht Robert Templ

 

Noch ein PS zur anfangs erwähnten „abenteuerlichen Überwindung der Nordostpassage“:

Bella, die Katze, gewöhnt sich von Schultag zu Schultag mehr an mich. Sie wird mich schließlich einmal akzeptieren. Oder ignorieren. Oder beides. Das weiß man bei Katzen nie so genau.