WÜRDE ...muss nicht immer ein Konjunktiv sein.

Liebe Leser!

Den kühnen Seefahrer und Eroberer Christoph Kolumbus dürfe man sich doch nicht – „Santa Maria!“ – als Flüchtling vorstellen, – außer, man würde die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er deswegen das Weite gesucht habe, weil er Abstand zu seiner zweiten Frau, seiner Freundin Beatriz Enriques de Arana brauchte. Die Beatriz, die früher sicherlich immer gesagt haben dürfte: „Christoph, du bist mein Apollo!“ Mein Gott, und jetzt? Dringende Beziehungspause, um gröbere, eventuell sogar blutige Auseinandersetzungen zu vermeiden. Denkbar wäre es. „Ei! Lieber flüchten als fluchen“, könnte er gesagt haben, oder: „Ei! Lieber in See stechen als in …“

Und die Beatriz, die sich bereits über das erste Ei erregt haben dürfte, noch heftiger aber über das zweite Ei (des Kolumbus), könnte ausgerufen haben, sie würde ihn am liebsten auf den Mond schießen, was aber damals im Jahre 1492 noch nicht funktioniert hätte. (Das ermöglichten fast 500 Jahre später, also nach der sogenannten Entdeckung Amerikas, die Amerikaner höchstpersönlich.) In Ermangelung einer Apollo-Rakete könnte Beatriz auch gezischt haben: „Geh doch dorthin, wo der Pfeffer wächst!“

Dieser Satz dürfte in den damals noch unerforschten Regionen des Gehirns eines gewissen Christoph Kolumbus hängen geblieben sein.

So könnte es gewesen sein, dass er vielleicht auch aus verletztem Männerstolz (die „zwei Eier“ – siehe oben!) von der eroberungsunwilligen Beatriz zur entdeckungsfreudigen Isabella I. von Kastilien, also zur Königin eilte, um diese für ein Abenteuer zu gewinnen und zu umgarnen: Ei, er täte gerne nach INDIEN segeln. (Seemannsgarn!) Ei, er wüsste da einen kürzeren Seeweg, habe er vielleicht noch nachgeschoben. Er könne (Ein bisschen ein Angeber dürfte er ja schon gewesen sein.), ja, er könne bis INDIEN schiffen.
(Viel später ist die – sprichwörtliche! – Blase geplatzt, und es hat sich herumgesprochen, dass seine erste Pinkelpause an Land nicht dort stattgefunden hat, wo der Pfeffer wächst, sondern auf einer Insel, die dem Kontinent Amerika vorgelagert ist.)

Der Konjunktiv gäbe hier noch einiges her…

Tatsache war:
Am 21.Okt.1492 ging die „Santa Maria“ unter dem (EiEi, Käptn!) Christoph Kolumbus unvorhergesehen an der Küste der Bahamas vor Anker. („Ein kleiner Schritt für mich, aber ein großer Schritt für …“ das Flüchtlings– und Schlepperwesen, vielmehr noch für den menschenverachtenden, der menschlichen Würde höhnenden Kolonialismus in diesem INDIENaner-Land.)

Tatsache ist: Christoph Kolumbus wollte vor 523 Jahren nach INDIEN.
Ich selber war mir vor 30 Jahren sicher, tatsächlich in INDIEN gelandet zu sein.
Es war so:

Nach meiner Ausbildung suchte ich einen Job. Ich wollte und musste Geld verdienen. Das war aber damals (anno 1985) in meinem Heimatbezirk Linz-Land nicht möglich. Es gab einfach keine einzige freie Arbeitsstelle.
So zog ich – definitiv als sog. Wirtschaftsflüchtling – nach Vöcklamarkt, quasi in den (goldenen) Westen. Hier gelandet glaubte ich mich – ähnlich wie seinerzeit auch Christoph Kolumbus – in INDIEN. Die Menschen hatten zwar keine Bindis an ihren Stirnen, doch immer wieder tauchten in den ersten Kontaktaufnahmen INDER auf, und in ihrer Sprache gab es Phrasen, die an Sanskrit erinnerten. [„Sgheat INDER Res.“ (*1) – „INDER Tant Sei Soh…“ (*2)] Integration: ein langwieriger Prozess. Deswegen besuche ich auch heute noch (mittlerweile 30 Jahre lang) die Volks(ein 3-fach hoch)schule. 😉
Der Begriff FREMDE HEIMAT wird immer aktuell sein, aber ich weiß, dass hier im Vöcklatal gute und hilfsbereite Menschen leben.

Ich weiß, ich weiß, angesichts der Flüchtlingsproblematik sollte man nicht so launig-locker schreiben. Möglicherweise tut dies der Sache aber gar nicht so schlecht. Wichtig ist, dass man Würde nicht verletzt.

Nun leben seit Ende Dezember Menschen in Vöcklamarkt, die aus Krisenregionen geflüchtet sind. (Die Betonung liegt beim Wort „Menschen“.) Eine voreilige, unbedachte Meinungsbildung ist kontraproduktiv. Noch dazu: Ich kenne die Flüchtlinge ja nur flüchtig…. Wesentlich ist, ihre Würde nicht zu verletzen.

Wer sich mit dem Thema “Würde“ eingehender befassen möchte, kann sich im Lesezentrum das Buch von Peter Bieri ausleihen:
„Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde“ (Verl. Hanser 2014, 382 S.)

februar15_02Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin. Unter dem Pseudonym Pascal Mercier erschien u.a. sein Roman „Nachtzug nach Lissabon“ (2004), der auch erfolgreich verfilmt wurde. Philosophische Bücher (u.a.): „Das Handwerk der Freiheit“ (2001), „Wie wollen wir leben?“ (2011).

 

Über sein Buch zum Thema „Würde“ schreibt der Hanser-Verlag:

februar15_03„Die Würde ist das höchste Gut des Menschen. Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir von Würde sprechen? Peter Bieris lang erwartetes neues Buch handelt von diesem zentralen Thema unseres Lebens. Weil die menschliche Würde in ganz unterschiedlichen Situationen ins Spiel kommt, ist sie nicht mit einem einzigen Begriff zu fassen. Bieri nähert sich ihr deshalb als Beobachter: In welchen Situationen bewahren wir, in welchen riskieren wir unsere Würde? An Beispielen, die er im Alltag und in der Literatur findet, entwickelt er eine Vorstellung von der menschlichen Würde, wie sie von unserem Umgang mit anderen und mit uns selbst abhängt. Würde, so stellt sich am Ende heraus, ist keine abstrakte Eigenschaft, sondern eine bestimmte Art zu leben. Sie drückt sich darin aus, dass wir Selbständigkeit, Wahrhaftigkeit und echte Begegnungen zum Maßstab unseres Handelns machen. In wunderbar klarer Sprache entwickelt Bieri seine Argumente: eine wahre philosophische Schule des Lebens.“

Liebe Leser, die nächsten zwei Seiten hat Hannelore Stöckl verfasst.
Sie ist unsere Expertin, wenn es um Lesestoff (u.a.!) über Flüchtlinge geht. Das Thema hat sie seit der Zeit der Vietnam-Flüchtlinge, der Bosnien- und dann der Kosovo-Flüchtlinge immer interessiert und betroffen gemacht, und sie hat mit sehr vielen Kindern, aber auch mit Erwachsenen Deutsch gelernt – ohne sich jemals in ein Helfer-Rampenlicht gestellt zu haben.

Dir vielen Dank, Hannelore
– und allen Lesern herzliche Grüße! Robert Templ

 

* * *

 

hannelore_stoeckl_cirlce„Liebe Leser!

Seit 17.12.’14 leben in Vöcklamarkt Flüchtlinge aus verschiedenen Krisengebieten. Kurz vor den Feiertagen besuchte ich sie zum ersten Mal. Auf meine Frage, was sie sich denn zu Weihnachten wünschen würden, antwortete mir ein siebzehnjähriges Mädchen aus Damaskus: „Happiness for all people!“
Diese Menschen könnten uns spannende und traurige Geschichten erzählen: von der zehntägigen Bootsfahrt über das Mittelmeer, von zurückgelassenen Frauen und Kindern, von den Repressalien unmenschlicher Regime, von der Flucht vor mörderischen Killerbanden quer durch die Sahara, …
Wer hinter die üblichen Meldungen der Tagespresse schauen möchte, findet im Lesezentrum genügend Bücher, um sich über das Thema „Flucht“ zu informieren.

Susanne Scholl, Auslandskorrespondentin des ORF, schreibt dazu:

„Ich existiere, weil Großbritannien meinen Eltern Asyl gewährt hat.“

 

Hier einige Buchempfehlungen:

februar15_04Wolfgang Bauer: „Über das Meer“ (2014, 133 S.)
Jeder 2. Syrer hat sein Heim verloren – 3,5 Mio. sind in Nachbarländer geflohen – 6,5 Mio. befinden sich in Notunterkünften im eigenen Land – eine Handvoll ist in Vöcklamarkt gelandet. – Der „Zeit“-Reporter Wolfgang Bauer hat syrische Flüchtlinge begleitet, in ihren Verstecken in Ägypten, im Boot, auf den Straßen Europas. Das Buch ist ein authentisches Dokument und ein Appell für eine humanitäre Flüchtlingspolitik.

 

februar15_05Susanne Scholl: „Alleine zu Hause“ (2011, 176 S.)
Die Autorin, deren Eltern selbst acht Jahre als Flüchtinge verbringen mussten, weil die Nazis ihnen nach dem Leben trachteten, erzählt von Menschen, die vor Mord und Totschlag, Folter und Sklaverei, Blutrache und Zwangsehe und vor dem ganz alltäglichen Elend flohen und in Österreich Zuflucht suchten.

 

 

februar15_06

Ulrich Ladurner: „Lampedusa“ (2014, 144 S.)
Die italienische Insel ist Symbol für die massenhafte Wanderung von Menschen aus dem armen Süden nach Europa. Vor ihren Küsten ertrinken mit schrecklicher Regelmäßigkeit und in großer Zahl Flüchtlinge. Ladurner blickt hinter die Tagesaktualität und versucht eine Antwort, warum diese Insel zu diesem Ort der Gestrandeten wurde.

 

 

februar15_07

Fabrizio Gatti: „Bilal“ (2011, 544 S.)
Der rennomierte italienische Journalist mischte sich als Migrant unter jene Menschen, die auf einer der berüchtigsten Transitrouten von Afrika nach Europa unterwegs sind. Auf klapprigen Lastwagen durchqueren sie unter unvorstellbaren Entbehrungen die Sahara, werden überfallen und oft von Schleppern und korrupten Polizisten ihrer letzten Habe „erleichtert“. Zitat Corriere della Sera: „Die erschütternde Odyssee von Millionen heimlichen Einwanderern fesselt und packt den Leser von der ersten bis zur letzten Seite.“

 

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Ludwig Laher: „Verfahren“ (2011, 180 S.)
Jelena, eine Kosovo-Serbin, wird in ihrer Heimat Opfer unmenschlicher Gewalt. Schwer traumatisiert hofft die junge Frau nach zwei Selbstmordversuchen auf einen Neuanfang in Österreich. Dort gerät sie in die Mühlen des österreichischen Asylrechts. Ein aufwühlender Roman zum Thema Asyl und zum Reich der Justiz – vom Autor exakt recherchiert.

 

 

Auch die folgenden Bücher sind empfehlenswert:

  • Dave Eggers: „Weit gegangen“, Sudan (2010, 784 S.)
  • Maria Blumencron: „Flucht über den Himalaya“, Tibet (2009, 304 S.)
  • Klaus Brinkbäumer: „Der Traum vom Leben“, Afrika… (2011, 288 S.)
  • Siba Shakib: „Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen“ (2001, 318 S.)
  • Halima Bashir: „Halima – Mein Weg aus der Hölle von Dafur“, Sudan (2008, 424 S.)
  • Miriam Faßbender: „2850 Kilometer“, Afrika… (2014, 320 S.)
  • Renate Sova: „Dorthin kann ich nicht zurück“, 25 Flüchtlinge erzählen ihre Geschichte (2012, 224 S.)
  • Susanne Scholl: „Emma schweigt“ (2014, 180 S., Roman)
  • Andrea Heigl: „Mit einem Koffer voll Hoffnung“, Österreich als neues Zuhause. 15 Lebensgeschichten (2013, 160 S.)

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Flucht“ ist kein neues Thema, – und so seien hier auch einige Bücher aus dem Bereich
Geschichte“ erwähnt:

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Aharon Appelfeld: „Geschichte eines Lebens“ (2006, 208 S.), Palästina
Ingeborg Jakobs: „Wolfskind“ (2011, 336 S.), Baltikum
Hilde Lorenz: „Heimat aus dem Koffer“ (2013, 320 S.), Schlesien

 

februar15_11Die Bücher von Jean Ziegler behandeln nicht speziell das Thema „Flucht“, geben aber wertvolle Hintergrundinformationen, denn „nur wenn wir verstehen, welche traumatischen Verletzungen Kolonialismus, Sklaverei und unser neoliberales Wirtschaftssystem im Bewusstsein vieler Völker hinterlassen, werden wir konkret handeln können.“

 

Liebe Grüße! Hannelore Stöckl