Ein Blick
und noch ein Blick
ergeben nicht einfach zwei Blicke,
sondern geben Einblicke.
Einen Augenblick,
liebe Leser!
Jetzt gibt es ganz ein-fach ein Doppelpack, – und sicherlich keine „halberten“ Geschichten: „Glück ist was für Augenblicke – Erinnerungen“ von Christine Nöstlinger und „Das Polykrates-Syndrom“ von Antonio Fian. Den zwei Büchern seien zwei Zitate aus dem geglückten Erinnerungsbuch von Friedrich Torberg vorangestellt: „Die Tante Jolesch“.
Was ein Mann schöner is als ein Aff, is ein Luxus.
(aus: „Die Tante Jolesch“)
Christine Nöstlinger, die wohl bedeutenste österreichische Kinderbuchautorin, hält in ihren „Erinnerungen“ Rück-Blick. Mit dem Vater ihres Vaters lässt sie ihre Geschichte beginnen. Dieser Großvater war als Mann – wenn man das Schwarz/Weiß-Foto im Buch betrachtet – mit Luxus ausgestattet, allerdings nicht unbedingt mit „Schneid“. Nöstlinger’s Biografie „Glück ist was für Augenblicke“ beginnt Augen-zwinkernd:
Der Vater meines Vaters, der Leopold Göth, kam mit 15 Jahren mutterseelenallein von Siebenbürgen nach Wien, um die Handelsschule zu besuchen. Das Geld, das seine Eltern jeden Monat schickten, reichte gerade für „Kost und Quartier“ bei der Familie Doufek. Das „Quartier“ war ein kleines Kabinett hinter der Küche, über die „Kost“ sagte mein Großvater später bloß achselzuckend: „Einbrennsuppen und Erdäpfel halt“.
Die Doufeks waren aus Böhmen zugezogen und hatten – nebst allerhand anderem Nachwuchs – eine Tochter im Alter meines Großvaters. Juliane hieß sie, recht hübsch war sie, und der Leopold fing mit ihr ein „Pantscherle“ an. So nannte er das rückblickend.Die Jahre vergingen, der Leopold bekam eine Anstellung in einem Großhandel für Uhrenfurnituren. Das sind die einzelnen Bestandteile von Uhren. Im Doufek-Kabinett hinter der Küche wohnte er immer noch, das „Pantscherl“ mit der Juliane hatte er auch noch immer, und die Juliane wollte endlich geheiratet werden.
Nach sieben Jahren wurde ihr die Warterei zu blöd, sie sperrte den Leopold in sein Kabinett und erklärte ihm durch die versperrte Tür, dass sie ihn erst rauslassen würde, wenn er ihr schwören würde, binnen der nächsten Woche das Aufgebot zu bestellen.
Der Leopold überlegte eine Nacht lang. Schließlich sagte er sich, dass er diese Frau sowieso nie mehr los würde, es sei denn, er wanderte nach Amerika aus. Und das traute er sich nicht zu. Also schwor er brav, durfte endlich aus dem Kabinett raus, und ging mit der Juliane das Aufgebot bestellen. […]
Nach dem Lesen dieser ersten Sätze einer „Vergangenheitsbewältigung“ weiß man, dass Nöstlinger’s „Erinnerungen“ ein Glücksfall sind. „Wahrhaftig und kämpferisch, warmherzig und humorvoll“, steht im Klappentext. Und weiter:
„Christine Nöstlinger erzählt – jedoch nicht über wasserscheue Drachen, den grantigen Gurkenkönig oder den Franz, der aussieht wie ein Mädchen. Hier geht es um ihr eigenes Leben: Wie sie als Kind den Krieg im Bombenkeller überlebt. Wie sie ihre erste Beichte mit einer Lüge beginnt. Wie sie über einen Tretroller die wahre Natur des Menschen kennenlernt. Wie sie in der Tanzstunde mit einem geliehenen BH Oberweite vortäuscht und sich als Kunststudentin in Herrenrunden behauptet. Wie sie zwischen Entenbraten und Kindergeschrei zu schreiben beginnt. Wie das Private politisch ist und trotzdem gelacht werden darf. Und vor allem darüber, dass wir nie vergessen dürfen, dass alles eine komische Seite hat.“ (zu: „Glück ist was für Augenblicke“ von Christine Nöstlinger)
[ EXKURS zum Thema GLÜCK:
Werfen wir doch einen Blick auf den Tyrann Polykrates, der vor fast 2500 Jahren auf der griechischen Insel Samos herrschte. Polykrates hatte sagen-haftes Glück. Was er auch („beiläufig“ mit grauenhaftem Blutvergießen) anpackte, es geriet ihm selber zum Glück. Selbst der Eupalionos-Tunnel (die berühmteste Berguntertunnelung der Antike, von beiden Seiten aus begonnen, in der Mitte mit nur 30 cm Höhenunterschied zusammentreffend) wurde in seiner Regentschaft bestaunte und bejubelte Wirklichkeit.
Freilich, der Mathematiker und Philosoph Pythagoras verließ angewidert von Polykrates‘ Herrschaftsstil die Insel Samos, und Aristoteles äußerte sich in seiner Schrift Die Politik, dass dies doch nur dazu diente, „die Bevölkerung zu beschäftigen, sie aber gleichzeitig arm zu halten“. Polykrates unterstellte diesen Herrschaften möglicherweise ein „Sudern-Syndrom“.
Polykrates war gierig nach Hab und Gut und Glück. Wer aber das Glück derart erzwingt, gerät in Gefahr, Unglück herauszufordern. Unter Ausnutzung seiner Habgier wurde Polykrates in einen Hinterhalt gelockt und auf eine Art getötet, „die man“, wie Herodot schreibt, „nicht wiedergeben kann“, um anschließend ans Kreuz genagelt zu werden. „Das war das Ende des glücksgesegneten Polykrates“, so Herodot. „Amasi, der König von Ägypten, hatte es ihm vorausgesagt.“
Diese Information habe ich nicht aus dem „Handbuch des unnützen Wissens“ (Hanswilhelm Haefs, DTV, München, 2011, 216 S.) bezogen, sondern aus der Internet-Seite Wikipedia.
Muss man dieses Wissen wissen?
Man weiß nie … EXKURS-ENDE ]
Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.
(„Die Tante Jolesch“)
Der griechische Tyrann und die Tante Jolesch,
die zwei könnten einem schon ein bisschen Angst machen 😉 – und die empfohlene Vermeidung von Unglück (das ja möglicherweise durch allzu vehemente Herausforderung des Glücks geradezu erzwungen wird) kann sich zu einer psychosomatisch bedingten Krankheit auswachsen: das „Polykrates-Syndrom“. Dies widerfährt dem „Held“ Artur aus dem Roman von Antonio Fian, Österreichs zweifellos bekanntester (Ver-)Dichter von Dramoletten.
Dramolette-Verfasser schreiben in der Regel keine Romane. Antonio Fian schon. Zu einem regelrechten Drama ist seine Geschichte ausgeufert. Das Roman-Ende ist also offen, und davor spielen sich Szenen ab, die harmlos beginnen, im Lauf der Handlung aber immer heftiger werden. Eine Tour de force. Nach dem Ursache-Wirkung-Prinzip jagt ein Micro-Drama (= ein Glück im Unglück!) das andere.
Unterhaltsame Lektüre, rasant, schräg, grotesk, kriminell aber aberwitzig …
Der Buchverlag gab folgende Kurzbeschreibung heraus:
Artur führt eine unspektakuläre, in geordneten Bahnen verlaufende Ehe mit der Mittelschullehrerin Rita, jobbt, obwohl Akademiker, in einem Kopierzentrum und als Nachhilfelehrer und ist ganz allgemein nicht sonderlich ehrgeizig oder anspruchsvoll. Bis eines Tages eine gewisse Alice den Copyshop betritt und eine Notiz hinterlässt. Was nun ins Rollen kommt, ist eine Zeit lang ausgesprochen komisch, aber diese Komik nimmt unversehens immer düsterere, schließlich grauenhafte, wie in einem Splattermovie entsprungene Formen an, und die bisher so satten und zufriedenen, vielleicht sogar glücklichen Romanfiguren sehen sich unausweichlich in Handlungen verstrickt, die weder sie sich selbst noch die Leser ihnen jemals zugetraut hätten.
„Es geht uns allen viel zu gut. Die Kinder sollen’s einmal besser haben.“ Der kurze Text „Die guten Eltern“ aus Antonio Fians Gedichtband Fertige Gedichte bringt das Polykrates-Syndrom auf den Punkt: Die Steigerung allzu großen Glücks ist möglicherweise größtmögliches Unglück. Das sagt zumindest eine tief in uns verwurzelte Angst – und diese Angst und ihre Folgen stehen im Zentrum in Fian’s Roman.
Glücklicherweise gibt’s NÖSTLINGER FIAN Leser.
Antonio FIAN lässt seinen Roman offen.
Christine NÖSTLINGER beendet ihr Buch mit folgenden zwei Sätzen:
„[…] Unlängst hat mich eine junge Journalistin gefragt, ob ich glücklich bin. Junge Leute stellen solche Fragen, die wissen noch nicht, dass Glück etwas für Augenblicke ist und man damit zufrieden sein muss, zufrieden zu sein.“
Das Lesezentrum fechila hat zum Glück mehrere Augenblicke für Sie offen:
DI 14 – 18 Uhr, FR 9 – 12 Uhr u. 14 – 18:30 Uhr, SA 9 – 11 Uhr, SO 8:45 Uhr – 11:15 Uhr
Und in Hinblick auf www.fechila.at:
Ein Einblick gewährt Durchblick.
Durch Durchblick gibt es (durch-aus) Ausblick.
Aus Ausblick entsteht Weitblick: glücklicher Augenblick!
Viele glückliche Seiten-Blicke in interessante Bücher
wünscht Robert Templ